Hatte ich eigentlich schon von der Anthologie berichtet?
Ich kopiere der Einfachheit halber folgendes aus dem Literaturforum:
Unsere Anthologie erscheint am 01.Oktober 2011 in der edition doppelpunkt im Verlagshaus Pressel.
Hier kann die Anthologie vorbestellt werden:
Online-Shop
Alle beteiligten Autoren verzichten auf ein Honorar, denn die Erlöse des Buches unterstützen ein kleines Kinderheim in Istrien. Dies ist eine Initiative des adriaforum.com und des Autorenforum Zeilenweise.
edition doppelpunkt
http://www.edition-doppelpunkt.com
Literatur für Kenner
Das Heim, in dem maximal zehn Kinder betreut werden, ist ein Pilotprojekt der Caritas und des Staates Kroatien, in dem ausschließlich besonders schwere Fälle sexuell missbrauchter Kinder untergebracht sind.
Auszug aus dem Vorwort:
Bestimmt gibt es ein Haus in Ihrer Nachbarschaft, in dem mehrere Familien wohnen. Und Sie kennen wahrscheinlich auch einen Bewohner dieses Gebäudes vom Sehen, grüßen ihn flüchtig im Vorübergehen. Aber haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was hinter den Außenmauern eines solchen Hauses unbemerkt von Dritten vorgehen könnte? Waren Sie nicht schon das ein oder andere Mal neugierig?
—
Autoren:
Philipp Bobrowski
Wolfgang Brunner
Heidi Gotti
Hartmut W.H. Köhler
Mario B. Kuhl
Germaine Paulus
Michael Romahn
Miriam Schaffner
Anett Steiner
Isa Theobald
Markus Walther
Heike Hultsch
Bitteschön. Meine Geschichte für euch zum Lesen. Viel Vergnügen.
…
Die Protagonsieten
Herr Prof. Dr. Ignatius Reetwig feierte seinen fünfundsechzigsten Geburtstag allein.
Das war nichts Besonders für ihn, genauso hatte er auch die Geburtstage zuvor verbracht. Außergewöhnlich an diesem Tage jedoch war, dass sein Geburtstag in einer anderen Umgebung stattfand.
Er war vor einigen Monaten umgezogen. Seine Wohnung lag im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses und der Professor erhoffte sich die Anonymität, die dringend erforderlich war. Er durfte einfach nicht mehr auffindbar sein! Auch war es praktisch, dass sich im Erdgeschoss des Hauses ein Kiosk befand. Damit entfielen lange Einkaufswege und das Risiko, erkannt zu werden. Vielleicht könnte er sogar die Inhaber des Kiosks, eine Familie Barbanic dazu bringen, ihm die benötigten Lebensmittel einfach vor die Tür zu stellen. Einmal im Monat würde er die Ware bezahlen.
Mit Bedacht wählte er die Wohnung im Haus auf dem Zeile-Weise-Platz. Durch die Anzahl der Wohnungen erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, in diesem fünfstöckigen Haus nicht mit anderen Bewohnern in Kontakt zu kommen. Es war bekannt, je mehr Mieter ein Haus hatte, umso weniger kannte man sich oder erinnerte sich aneinander. Er richtete sich einen Wohn- und Schlafraum ein und nutzte die übrigen Zimmer als Labor. Die Änderung seiner Lebensumstände wurde notwendig, weil die Protagonsieten in L., seinem vorherigen Wohnort, überhand genommen hatten. Sie tauchten mittlerweile minütlich auf und bedrängten ihn mit immer neuen Forderungen. Herr Prof. Dr. I. Reetwig trug daran eine gewisse Mitschuld. Durch seine Forschungsarbeiten fühlten sie sich magisch angezogen. Wollte er sie loswerden, blieb ihm als einziges Mittel die Flucht.
Er hatte seine Spuren sorgsam verwischt. Sein Einfamilienhaus veräußerte er unter falschem Namen und mit dem daraus gewonnenen Kapital ließ er sich schließlich in der Stadt nieder.
***
Herr Professor Dr. Ignatius Reetwig forschte seit einigen Jahren in der Plastischen Chirurgie und hatte sich auf Gesichter spezialisiert.
„Nase verkleinern und Falten unterspritzen kann jeder“, pflegte er immer zu sagen. „Eine Gesichtstransplantation erfordert jedoch besonderes Können!“
Vorangegangen waren lange Studien, die er auf einer Bank im Park betrieb. Reglos saß er Stunden auf dieser Bank und beobachtete die Passanten. Er las in ihren Gesichtern und sein fotografisches Gedächtnis behielt jedes einzelne. Ihm entging kein Stirnrunzeln, und bald konnte er die Reaktionen der Gesichter auf verschiedene Stimmungen bereits voraussagen. Warum also sollte er nicht versuchen, den Menschen freundliche Gesichter zu verschaffen? Gesichter, auf denen insbesondere die negativen Stimmungen nicht mehr ablesbar waren. Die Vision vom Paradies auf Erden wurde für ihn immer deutlicher.
In diesem Park wurden auch die Protagonsieten auf ihn aufmerksam. Keiner wusste, wo sie herkamen, alle hatten aber eines gemeinsam – sie hatten drei Augen. Das dritte Auge befand sich mitten auf der Stirn. Mit diesem dritten Auge fiel es ihnen nicht schwer, sofort Dinge zu erkennen, die für andere unsichtbar waren. Sie schauten damit bis ins Hirn der Menschen, lasen die geheimsten Wünsche und Hoffnungen und machten sich diese zunutze. Sie manipulierten jeden, der nur in ihre Nähe kam. Es war für sie ein Spaß, ihre Macht zu demonstrieren. Sie schickten beispielsweise bei eisiger Kälte Passanten plötzlich nackt in einen Fluss, weil sie ihnen suggerierten, dass es warm sei und sie dringend eine Abkühlung benötigten. Doch das waren harmlose Spielereien im Gegensatz zu dem, was sie wirklich beabsichtigten.
Die Protagonsieten selbst wollten natürlich nicht erkannt werden, deshalb trugen sie die Haare bis weit über die Augenbrauen. Allerdings war ihnen klar, dass sie nicht dauerhaft verborgen bleiben könnten und so mussten sie sich etwas anderes einfallen lassen. Der Professor kam ihnen also gerade recht. Sie wussten von seinem Vorhaben und konnten darauf sogar Einfluss nehmen. Er würde ihnen einfach andere Gesichter transplantieren, die das dritte Auge oberflächlich mit einer Hautschicht bedeckten und so stände der Übernahme der Weltherrschaft nichts mehr im Wege. Im Verborgenen könnten sie alles vorbereiten und der Tag, an dem die Protagonsieten die einzigen Lebewesen auf der Erde sein würden, war nah. Zuvor mussten sie jedoch die Menschen eliminieren. Nicht einer von ihnen durfte übrig bleiben.
Lange Zeit manipulierten sie den Professor. Die Vollendung des alles verbergenden Gesichtes stand kurz vor dem Abschluss. Seine Versuche bewahrte der Wissenschaftler in gut sortierten und nummerierten Gläsern auf. Ab und an dachte Ignatius jedoch über die seltsamen Umstände nach. Warum nur waren die Protagonsieten so präsent? Wieso konnte er an nichts anderes mehr denken? Das war nicht richtig, so viel spürte er.
Die Protagonsieten wurden lästig. Aufdringlich. Und immer fordernder. Sie hinderten ihn am Essen und am Schlafen und stahlen ihm sämtliche Zeit. Soziale Kontakte pflegte er längst nicht mehr und es erwies sich für die Protagonsieten von Vorteil, dass Professor Dr. Ignatius Reetwig keinerlei Familie mehr hatte.
Ignatius wurde panisch. Er wollte nur noch weg.
***
Den einzigen Kontakt, den der Professor in seiner neuen Umgebung mehr schlecht als recht pflegte, war der zu einer jungen Frau, die in der Wohnung neben ihm wohnte. Eines Tages hatte ihn Hedwig Meister, so hieß die junge Dame, gefragt, ob sie nicht irgendwie behilflich sein könne. Putzen vielleicht, oder andere leichte Tätigkeiten. Sie benötigte einen Nebenverdienst und ihr war aufgefallen, dass der Herr Professor nicht oft aus dem Haus ging. Ignatius stimmte zu. Seitdem bereitete sie ihm das Frühstück und hielt seinen Wohnraum in Ordnung. Ins Labor ließ er sie nie und meist kam er erst dann heraus, wenn Hedwig wieder verschwunden war.
Von seinen Forschungsarbeiten konnte der Professor trotz des Umzuges nicht lassen, auch wenn ihm immer mehr Zweifel kamen, ob es richtig war, was er da tat. Hatte er in der Absicht begonnen, die Menschen zu verschönern, so schlug diese allmählich um. Was sollte das für eine Welt werden, in der alle Menschen identische, freundliche Gesichter hatten? Sicher war es manchmal von Vorteil, sich bedeckt zu halten und Gestik und Mimik unter Kontrolle zu haben, doch war es richtig, das zum dauerhaften Zustand zu machen?
„Ich werde damit aufhören“, brummelte er eines Morgens. Es war vier Uhr früh und an Schlaf war auch in dieser Nacht nicht zu denken gewesen. „Schluss damit!“ Vielleicht waren diese Gedanken auch ein Resultat der nachlassenden Wirkung der Protagonsieten, die den Professor wahrscheinlich in seiner neuen Umgebung noch nicht gefunden hatten und somit sein Hirn nicht mehr beeinflussten.
Ignatius klopfte während des Hin- und Hergehens im Labor mit der flachen Hand auf die vielen Gläser, in denen sich unzählige schöne Gesichter befanden. Ohnehin hatte er noch keines verwenden können, eine unbestimmte Furcht hielt ihn vor dem letzten Schritt, der Transplantation von schönen Gesichtern, zurück. Einmal nur war er der Versuchung erlegen gewesen und hatte eines der Gesichter verschenkt. Doch dieses Gesicht war sein erster Versuch und konnte eher hässlich als schön genannt werden.
„Ich werde aus dem Haus gehen! Jawohl!“, sagte er. „Ich muss diesem Schönheitswahn Einhalt gebieten!“
Der Professor nahm Hut und Mantel und schloss hinter sich die Tür. Wochenlang saß er auf Bahnhöfen, U-Bahn Stationen und in Einkaufszentren und beobachtete die Menschen. Nur um seine Kleider zu wechseln, eilte er nach Hause, und um ein schnelles Frühstück einzunehmen. Den Wunsch, sein Labor zu betreten, verspürte er nicht ein einziges Mal. Nur schnell zurück zu seinen Beobachtungen in der realen Welt, das war alles, was er wollte.
Er sah gestresste Gesichter, zornige Augen, verbitterte Münder, faltige, vom Leben gekennzeichnete Körper. Er sah Hass, Zorn, Trauer. Tränen. Aber auch Lachen und Freude. Er sah Ausdruck. Leben.
Dann hatte er genug.
Als er an diesem Abend in seine Wohnung kam, hielt er sich nicht im Wohn-Schlafraum auf, sondern lief sofort in das Labor. Mit einer schnellen Handbewegung wischte er sämtliche konservierten Gesichter aus dem Regal. Das Klirren hörte er gar nicht. Ebenso wenig nahm er den stechenden Geruch der Lösung aus Kaliumlactobionat, Kaliumdihydrogenphosphat und Magnesiumsulfat wahr, die Pfützen auf dem Boden bildete. Fast schien es ihm, als ob ihn all die schönen Gesichter, die darauf schwammen, hämisch angrinsten. Das Klopfen an der Tür ignorierte er.
Der Professor griff nach einem Skalpell und durchtrennte sich mit sicherer Hand die Halsschlagader.
***
Später, als die Polizeibeamten die Wohnung freigaben, bemerkte die junge Nachbarin des verstorbenen Professors etwas sehr Merkwürdiges.
Die Angestellten des Bestattungsunternehmens, die Herrn Professor Ignatius Reetwig in einem hölzernen Sarg mit sich nahmen, trugen eine außergewöhnlich lange Haarpracht. Den Männern hing das Haar tief in die Stirn, bis weit über die Augenbrauen …
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